Im Gespräch mit Christof Bär, Geschäftsführer der BÄR GmbH, über gesunde Schuhe, geplante Obsoleszenz und große Herausforderungen

Schuhe Die Gesund Machen/ April 5, 2020/ Schuhe/ 0Kommentare

Christof Bär

Christof Bär, Geschäftsführer der Bär Schuhe GmbH, nahm sich die Zeit für unser Interview. Foto: baer-schuhe.de ©

Christof Bär ist Geschäftsführer der BÄR GmbH – Manufaktur für bequeme Schuhe und führt das Unternehmen in 2. Generation gemeinsam mit seinem Bruder Sebastian. Ihre Eltern, Hilke & Christian Bär, gründeten das Unternehmen 1982 in Bietigheim-Bissingen, wo das Familienunternehmen bis heute beheimatet ist.

Schuhe Die Gesund Machen sprach mit Christof Bär über gesunde Schuhe, geplante Obsoleszenz und große Herausforderungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise.

Schuhe Die Gesund Machen: Herr Bär, was unterscheidet eigentlich Bär Schuhe von anderen Schuhen?

Christof Bär: Bär Schuhe sind die, die die konsequenteste Fußform in den Schuh abbilden. Zum einen war die Zehenfreiheit ja schon immer unser Kernthema. Die Zehenbox unserer Schuhe bietet so viel Platz, dass Sie die Zehen frei bewegen können. So kann auch die Blutzirkulation ungehindert stattfinden und Haut-an-Haut-Kontakt wird vermieden, da dieser sonst auch zu Schweißentwicklung und Bakterieneinlagerungen führen kann.

Das 2. Thema ist unser Nullabsatz, der dem Barfußlaufen so weit wie möglich nahekommt. Wir machen also Schuhe für „Laufen wie barfuß“, nur eben mit Schuhen. Damit grenzen wir uns deutlich zu anderen Modellen ab, die vorgeben, besonders „gesund“ zu sein. Wenn ich zum Beispiel an Schuhe mit Abrollsohlen denke, kann ich nur sagen, dass das eine widernatürliche Bewegung versursacht. Schließlich geht kein Mensch erst bergauf und wird dann nach vorne katapultiert. Und auch Negativabsätze sind weder natürlich noch gesund.

Schuhe Die Gesund Machen: Unter Zehenfreiheit versteht ja jeder etwas, aber können Sie noch einmal erklären, was ein Nullabsatz genau ist und warum er gesund ist? 

Christof Bär: Nullabsatz bedeutet, dass der Ballen und die Ferse auf dem gleichen Niveau stehen. Nur dann steht der Körper entspannt, denn genau darauf ist er ausgerichtet. Die Bandscheiben sind in der richtigen Position und nicht etwa gequetscht oder angewinkelt. Die meisten anderen Schuhe haben jedoch eine Form, bei der die Ferse höher liegt als der Ballen. Am extremsten ist das natürlich bei den hohen Schuhen der Frauen. So entsteht ein Ungleichgewicht, dass der Körper und seine Muskulatur zwar kurzfristig ausgleichen können. Langfristig aber kann das zu ernsthaften Schäden führen, da der Körper eine unnatürliche Haltung einnehmen muss.

Vor allem bei Frauen sind später leider häufig Muskel- und Sehnenverkürzungen sowie Gelenkprobleme die Folge. Und durch die hohe Belastung auf dem Ballen kann es zum Hallux Valgus kommen. Denn der Ballen ist nicht dafür ausgerichtet, so viel Gewicht zu tragen. Dafür haben wir unsere Fersen.

Schuhe Die Gesund Machen: Warum machen denn andere Schuhhersteller nicht auch diese Art von bequemen und gesunden Schuhen? Stellen diese Firmen absichtlich unbequeme und ungesunde Schuhe her? Oder legen sie einfach auf andere Dinge Wert?

Christof Bär: Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es in der Produktion deutlich schwieriger, einen asymmetrischen Schuh herzustellen, so wie wir das machen. Zum anderen ist es natürlich auch immer eine Frage der Mode-Situation. Spitzer zulaufende Schuhe gelten als modischer als Schuhe mit breiter Form. Und vor der Vernunft kommt leider meistens erstmal die Emotion, vor allem beim Schuh-Kauf. Die meisten Schuhe werden aus emotionalen, nicht aus rationalen Gründen gekauft.

Wir sind da also eher in einer Nische, zumal die Rationalität unserer Produkte nicht nur auf den gesundheitlichen Vorzügen fußt, sondern auch darauf, dass sie deutlich länger halten und über mehrere Saisons tragbar sind. Aus diesen Gründen sehen viele Leute sie nicht als „hochmodisch“ an.

Schuhe Die Gesund Machen: Es scheint also einen gewissen Zielkonflikt zwischen Design & Tragekomfort zu geben. Haben Sie deshalb zuletzt mit dem bekannten Designer Harald Glööckler kooperiert – um diesem Zielkonflikt besser gerecht zu werden? Oder war das vor allem auch aus PR-Gründen?

Christof Bär: Wir haben ja bereits 2006 schon einmal mit Harald Glööckler zusammengearbeitet. Auch mit Luigi Colani, dem berühmten Formenkünstler, haben wir bereits kooperiert. Beiden hatten wir gebeten: „Macht unsere bequemen Schuhe schön. Aber bitte geht nicht an die Funktionalität unserer Schuhe“.

Das ist allerdings gar nicht so einfach – deshalb verzweifeln auch die meisten Schuh-Modelleure. Die sagen dann einfach: „Auf die Form kriegt ihr niemals ein gutes Design“. Colani war aber jemand, der gesagt hat: „Ich nehme mich dieser Herausforderung gerne an.“ Einige seiner Aussagen stehen heute noch als Zitate an den Wänden in unserer Firma. Denn wir sagen definitiv: Das ist möglich!

Und ich würde sagen, dass wir das inzwischen auch sehr gut hinbekommen. Zumal viele Konkurrenten diesem Zielkonflikt einfach immer wieder aus dem Weg gehen, indem sie dann doch Abstriche beim Tragekomfort machen und sich lieber dem schmalen Mainstream-Design anbiedern. Das unterscheidet uns.

Schuhe Die Gesund Machen: Sie haben vorhin angesprochen, dass Ihre Schuhe deutlich länger halten als die von Wettbewerbern. Das führt natürlich auch dazu, dass ein Kunde von Ihnen dann im Zweifel nie wieder bei Ihnen neue Schuhe kaufen wird, einfach weil sie ewig halten. Es ist ja hinlänglich bekannt – unter dem Stichwort „Geplante Obsoleszenz“ – dass Unternehmen Produkte mitunter absichtlich so konzipieren, dass sie nach einer gewissen Zeit veralten oder nicht mehr funktionieren, damit wieder neue Produkte verkauft werden können. Habe ich es also richtig verstanden, dass Sie sich diese Praxis nicht zu eigen machen und lieber in Kauf nehmen, dass ein Kunde, der 1x bei Ihnen gekauft hat, nie wieder erneut bei Ihnen kaufen wird? 

Christof Bär: Das ist richtig, das kann – mit einem Augenzwinkern – man so stehen lassen. Wir verwenden extrem hochwertige Materialien, um die Langlebigkeit sicherzustellen. Die Schuhe haben deshalb einen etwas höheren Preis, dafür halten sie 3x länger als die von Wettbewerbern. Das hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, was sich ja zurzeit viele gerne auf die Fahnen schreiben, ohne es konsequent zu leben. Bei uns ist das Prinzip der Nachhaltigkeit tief in der DNA unseres Unternehmens verankert.

Man könnte meinen, dass es betriebswirtschaftlich gesehen ein Nachteil ist, dass unsere Schuhe so lange halten. Doch das stimmt nur vordergründig. Denn wir erreichen dadurch eine enorme Kundenzufriedenheit, was uns sehr stolz macht. Und das führt dann letztendlich dazu, dass unsere Kunden einen gewissen positiven „Suchteffekt“ nach unseren Schuhen entwickeln. Sie wollen keine anderen Schuhe mehr tragen. Und dann kaufen sie neben den normalen Schnürschuhen auch noch unsere Sandalen, unsere Wanderschuhe, unsere Business- oder Sport-Schuhe und so weiter.

Und zudem geben wir unseren Kunden ja auch die Möglichkeit, die Schuhe von uns neu besohlen zu lassen. Natürlich hätten wir rein umsatzmäßig mehr davon, wenn der Kunde einen neuen Schuh kaufen würde, aber für uns ist wichtig: In puncto Langlebigkeit des Produkts sind wir auf dem Markt legendär und unvergleichlich.

Schuhe Die Gesund Machen: Ich würde gerne nochmal mit Ihnen über das Thema Barfußschuhe sprechen. Vor ein paar Jahren ist da gefühlt ein Hype um dieses Thema aufgekommen, der bis heute immer weiter angewachsen ist. Sie haben sich dann dafür entschieden, für Barfußschuhe eine neue Marke zu gründen: Joe Nimble. Was war der Grund für diesen Schritt? Warum hat man die Barfußschuhe nicht einfach auch unter dem Namen „Bär Schuhe“ verkauft?

Christof Bär: Das ist eine gute Frage (lacht). Diese Frage haben wir uns damals natürlich auch gestellt, ob wir das so machen sollen oder nicht. Die Barfußschuhe sind ja grundsätzlich entstanden, weil man gemerkt hat, dass Sportler häufig Verletzungen wie Bänderrisse usw. bekommen, wenn die Sohle zu dick ist und somit der Läufer sehr weit vom Boden entfernt ist. Das bringt zwar eine gute Dämpfung mit sich, aber wenn man umknickt, entwickelt sich sofort ein solcher Krafthebel, dass schwerwiegende Verletzungen die Folge sind, weil der Körper es nicht mehr auffangen kann. Die Konsequenz war also, dass man die Füße wieder näher an den Boden bringen wollte, damit sie mit ihrer Sensorik den Boden erfassen können und der Körper über seine schnelleren Reflexe Schlimmeres verhindern kann.

Und nun ist es ja so, dass wir bei Bär neben der Zehenfreiheit und dem Nullabsatz auch die Dämpfung immer sehr in den Mittelpunkt gestellt haben, da unsere Bär Schuhe eigentlich nicht für den Leistungssport gedacht sind. Deshalb haben wir gesagt, dass wir da eine Kategorisierung vornehmen, und zwar nicht nur als Produktgruppe innerhalb von Bär, sondern mit einer neuen Marke und einer ganz neuen Kundenansprache. Denn unsere Bär-Kunden, die auch ein höheres Durchschnittsalter haben als die Joe Nimble Kunden, legen nach wie vor sehr viel Wert auf eine gute Dämpfung. Diese Kunden belasten ihren Körper ja auch nicht mehr so extrem wie die jungen Sportler.

Mit Joe Nimble als neuer Marke haben wir nun die Möglichkeit, diese deutlich jüngere Zielgruppe viel besser anzusprechen und gleichzeitig unseren Bär-Stammkunden gegenüber konsistent zu bleiben. Ich glaube nicht, dass unsere Bär-Kunden es verstanden hätten, wenn wir auf einmal einfach so bunter und sportlicher geworden wären. Wir beobachten aber sehr häufig, daß unsere Stammkunden gerne zur Abwechslung zu Joe Nimble greifen, um ihren Füßen eine willkommene Abwechslung zu ermöglichen und auch dem Zeitgeist zu folgen.

Schuhe Die Gesund Machen: Wie sind Sie denn auf den Namen Joe Nimble gekommen?

Christof Bär: (lacht) Das ist ein bisschen wie bei Jack Wolfskin, wo man ja ein Stück weit das Bild eines in den Bergen lebenden, bärtigen Mannes hat, welches die Marke symbolisieren soll.

Joe Nimble ist eine fiktive Person, die wir mit einem Augenzwinkern erschaffen haben. Diese Person ist natürlich und ursprünglich und unterwirft sich nicht den ständig wechselnden Mode-Trends, sondern hat die Philosophie und Funktionalität des Barfußlaufens und die konsequente Umsetzung dessen in den Schuhen im Fokus. Und „nimble“ bedeutet im Englischen ja auch „flink„, was auch einen wesentlichen Kern unserer Joe Nimble Schuhe symbolisieren soll.

Schuhe Die Gesund Machen: Andere Hersteller von Barfußschuhen setzen ja mitunter auf eine Trennung der einzelnen Zehen des Fußes in separaten Boxen – ähnlich wie bei den Fingern in einem Handschuh. Was ist ihre Meinung dazu?

Christof Bär: Zunächst einmal muss ich sagen, dass wir ja eigentlich gar nicht von „Barfußschuhen“ sprechen, sondern von „Funktionsschuhen“, denn sie erlauben dem Fuß, seine eigentliche Funktion zu erfüllen. Der Begriff „Barfußschuhe“ ist ein Widerspruch in sich, denn entweder ist man barfuß oder man hat Schuhe an.

Und zu dem Zehen-Konzept der anderen Hersteller – Sie spielen wahrscheinlich auf die FiveFingers von Vibram an – kann ich nur sagen, dass wir die Trennung der Zehen für nicht notwendig halten. Im Gegenteil: Aus hygienischen Gründen sehen wir eher davon ab. Zudem soll man unsere Schuhe sowohl barfuß als auch mit Socken anziehen können.

Schuhe Die Gesund Machen: Zum Ende des Gesprächs würde ich gerne mit Ihnen noch über die aktuelle Situation in Verbindung mit der Corona-Pandemie sprechen. Das Virus hat ja aktuell fast die ganze Welt fest im Griff. Auf Ihrer Website ist aufgrund der derzeitigen ausnahmslosen Schließung aller Verkaufsfilialen ein sehr prominenter Hinweis auf eine kostenlose telefonische Verkaufsberatung. Der Online-Kunde muss also nicht auf eine kompetente Beratung verzichten. Haben Sie diesen Service im Zusammenhang mit Corona neu eingerichtet oder gab es das bei Ihnen schon vorher? 

Christof Bär: Diesen Service hatten wir sogar schon vorher, wir haben jetzt natürlich die Kapazitäten hierfür nochmal erhöht. Für die starke Hinweisgebung auf der Website haben wir uns entschieden, als wir festgestellt haben, dass die Leute sich zuerst schwergetan haben, für eine Passformberatung oder Ähnliches bei uns anzurufen. Viele dachten, Sie würden irgendwo in unserer Verwaltung oder in der Werkstatt landen. Darauf haben wir natürlich reagiert, um den Kunden zu zeigen: Wir sind immer für Sie da mit unserem hochwertigen Service, auch und vor allem in der jetzigen Situation.

Schuhe Die Gesund Machen: Wie schlimm ist für Sie die derzeitige Zwangs-Schließung der Filialen. Kann das Online-Geschäft den Verlust wettmachen?

Christof Bär: Leider nicht. Es ist definitiv ein Einbruch. Zum einen kommt nicht jeder Kunde in unseren Web-Shop, der sonst in unsere Filiale gekommen wäre. Zum anderen verzeichnen wir auch generell eher eine Zurückhaltung der Kunden, was Schuh-Käufe angeht, da offenbar – zumindest im Moment – elementarere Dinge wie Lebensmittel und die eigene Gesundheit von Bedeutung sind für viele Menschen. Die Leute bleiben ja derzeit ohnehin viel zuhause. Da ist es nun mal nicht das Naheliegendste, sich ein Paar neue Schuhe zu kaufen. Ich hoffe aber, dass nach den Ausgangsbeschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen eine Besserung eintritt und die Leute nicht noch härter getroffen werden mit Jobverlusten und anderen finanziellen Unsicherheiten.

Ich muss allerdings sagen, dass wir durch Krisen bisher immer sehr gut durchgekommen sind. Das liegt auch daran, dass wir als Familienunternehmen sehr loyale Kunden haben, weil wir nicht anonym sind, sondern die Leute uns mit Personen und Gesichtern verbinden können. Zudem ist festzustellen, dass unsere Haupt-Zielgruppe der über 55-Jährigen oftmals finanziell sehr gut aufgestellt ist und somit auch durch die Krise kommen kann. Und wir hören immer wieder von Kunden „Bei Ihnen weiß ich, was ich für mein Geld bekomme – das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.“

Das zeigt, dass unser Ansatz, uns nicht über den Preis, sondern die Qualität zu differenzieren, erfolgreich ist. Insofern haben wir keine Angst vor der Krise, aber sie stellt uns natürlich vor Herausforderungen.

Schuhe Die Gesund Machen: Amazon profitiert ja aktuell sehr vom Corona-bedingten Ausfall des Einzelhandels. Inwiefern nutzen Sie diesen Vertriebskanal eigentlich? Ich habe bei der Recherche für dieses Interview zwar einige Bär Schuhe finden können, allerdings nur einen winzigen Bruchteil Ihres Produktportfolios. 

Christof Bär: Wir selber verkaufen nicht über Amazon. Es tauchen zwar immer mal wieder Sachen dort auf, die aber nicht über unseren Kanal eingesteuert werden. Es bietet natürlich einige Vorteile, auch über Amazon zu verkaufen. Man würde von Menschen gefunden werden, die einen sonst nie gefunden hätten.

Was uns nicht gefällt, ist die mögliche Abhängigkeit, in die man sich begibt und die fehlende Kundenbindung. Denn der Kunde, der bei Amazon kauft, bleibt bei Amazon. Wir wollen aber selber eine starke Marke sein. Kurzfristig gesehen kann ich verstehen, dass hier viele die Dollar-Zeichen in den Augen haben, wenn Amazon in Aussicht stellt, die halbe Jahreskapazität oder mehr abzunehmen. Dadurch gibt man aber auch ein Stück Unabhängigkeit und Kontrolle ab. Daher sind wir zurzeit der Meinung, mit unserer gewählten Strategie besser zu fahren.

Schuhe Die Gesund Machen: Herr Bär, vielen Dank für dieses Interview und alles Gute für Sie, Ihre Familie und Ihr Unternehmen.

 

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